Was draufsteht muss auch drin sein
Deutschland leidet seit Jahren unter dem Mangel an qualifizierten Fach- und Führungskräften (FKM). Doch einige ernstzunehmende Stimmen stellen den FKM grundsätzlich in Frage. Es gäbe genug Arbeitskräfte. Was ist dran an dieser Diskussion? Und wie hat sie die Qualifikation der Menschen beeinflusst?
Der Autor dieser Zeilen hat bereit 2013 in seinem Buch „MITARBEITER suchen, finden, fördern, binden“ auf die Entwicklungen des Fachkräftemangels hingewiesen und praktikable Lösungen vorgeschlagen. Jetzt – 8 Jahre später, nicht zuletzt durch Corona verstärkt – klagen Industrie, Handel und Dienstleistung erneut über den Mangel an qualifizierten Leuten.
Was waren die Auswirkungen auf den Qualifizierungsmarkt? Auf der einen Seite sehen wir zwar mehr Studierende an den Hochschulen, kürzere Studiendauer, einfacheren Zugang, leichtere Anerkennung ausländischer Abschlüsse und die generelle Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland. Hinzu kommen neu akkreditierte, häufig nicht öffentlich getragene Bildungseinrichtungen, die Senkung der Fachanforderungen für die Ausübung bestimmter Berufe sowie die Nachqualifizierung von Arbeitskräften ohne Abschluss.
Auf der Nachfrageseite dagegen entspannt sich die Lage durch Fortbildung älterer Mitarbeiter, die Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie den erhöhten Eintritt ins Rentenalter. Allerdings haben diese Entwicklungen nur eines gemeinsam: möglichst vielen Menschen schnell und leicht Abschlüsse und Grade zuteilwerden zu lassen – egal zu welcher Qualität. Die so entstandene Durchlässigkeit des Bildungssystems wird dadurch gesteigert. Das führt allerdings dazu, dass das Land mit Titeln, Graden, Bildungsabschlüssen überschüttet wird, die am Ende nicht die erforderlichen Fachkompetenzen bieten und kaum mehr zu differenzieren sind.
Nicht die Überschrift, sondern die Qualität der Ausbildung führt zur Fachkraft
Der FKM wird damit zu einem qualitativen Mangel. Inzwischen führt dies z. B. in Hotellerie, Gastronomie und Touristik zu Verzweiflungstaten der HR-Abteilungen, die nur noch „Hände“ engagieren und nicht „Köpfe“, weil die gewünschte Qualifikation sowie die Motivation für die außergewöhnlichen Arbeitsbedingungen nicht verfügbar ist. Unternehmen finden zwar genügend Bewerber – aber nur wenige geeignete. Sie bemängeln das ebenso wie Personalberater seit Jahren. Hinzu kommt jenseits der fehlenden grundlegenden fachlichen Fähigkeiten ein erheblicher Mangel an Motivation, Erfolgswillen, Eigeninitiative, Leistungsbereitschaft. Stattdessen strotzen viele Kandidaten vor Selbstüberschätzung, überzogenen Vorstellungen über eigenes Können und angebliche Leistungserfolge.
Statt das Niveau der Ausbildung zu steigern und der Komplexität der Gesellschaft anzupassen wird gleich jedwedes Bemühen um mehr Wissen sofort ambitioniert mit Titeln versehen und die Voraussetzung zur Berufsausbildung wie z.B. der Meisterabschluss fallen gelassen. Alles ist heute ein Studium. Eine präzise Differenzierung geht verloren. So wird zwar die Anzahl der sogenannten Fachkräfte erhöht, deren Qualität bzw. Qualifikation aber nicht gefördert. Es entsteht ein Mangel an ganzheitlichem Denken, analytischem Vermögen, der sich zunehmend in der von Unsicherheiten, Komplexität und raschem Wandel geprägten Unternehmenswelt rächt. Eine komplexe interdisziplinäre Welt verlangt eben mehr als nur Wissen und das Abarbeiten von Einzelkursen. Gefragt sind künftig Denkweisen, Verstehen von Zusammenhängen, Methoden- und Problemlösungskompetenz.
Mehr Klasse statt Masse
Was können wir ändern? Wir brauchen nicht mehr Abschlüsse, Grade und wohlklingende Titel. Es macht auch keinen Sinn, Zugangsbedingungen und Ausbildungsniveaus zu senken – nur um leichter und schneller Fachkräfte zu „produzieren“. Ausbildungen müssen vielmehr verbindlichen, verlässlichen und transparenten Qualitätskriterien und Zugangsvoraussetzungen unterliegen, damit sie eindeutiger differenzierbar und bewertbar sind. Wenn das auch noch auf internationaler Ebene gelingt, dann erfüllt es die Forderung: „Was draufsteht – muss auch drin sein“.