©istock

Warum hört mir bloß niemand zu?

Lassen Sie uns die Probe aufs Exempel machen: Wie viele Menschen aus Ihrem beruflichen und privaten Umfeld würden Sie spontan als gute Zuhörer bezeichnen? Wahrscheinlich geht es Ihnen wie mir. Sie können sie an einer Hand abzählen. Weshalb ist das so? 

Haben wir uns zu immer größeren Egoisten entwickelt, die sich rund um die Uhr mit sich selbst beschäftigen? Liegt es am fehlenden Willen, dem anderen die ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken? Finden wir eine Antwort beim Schriftsteller Gottfried Keller? „Mehr zu hören als zu reden, solches lehrt uns die Natur. Sie versah uns mit zwei Ohren, doch mit einem Munde nur“. Ein Blick in den Spiegel genügt und wir werden auf sanfte Weise an eine der wichtigsten Aufgaben im Managementberuf erinnert!

Zuhören ist doch die natürlichste Sache der Welt, das können wir doch von frühester Kindheit an. Wirklich? Zuhören ist viel mehr als lediglich zu schweigen. Die Gabe des Zuhörens ist nicht nur unter Verkäufern eine der seltensten Tugenden, auch bei Führungskräften. Ein Grund mag darin liegen, dass wir es weder in der Schule noch im Studium lernen. Wir lernen zu sprechen, uns vor Gruppen korrekt auszudrücken. Doch richtiges Zuhören lernen wir nicht. Welche Konsequenzen ergeben sich, wenn wir beim Zuhören Defizite aufweisen?

  • Unser Gegenüber fühlt sich nicht ernst genommen, deshalb findet kein richtiger Vertrauensaufbau statt.
  • Weil wir weder richtig zuhören noch nachfragen, interpretieren wir nur die Reaktionen des Anderen, wirklich kennen tun wir sie nicht. Das Resultat: Missverständnisse
  • Unser „Angebot“ – sei es die vakante Stelle, die wir besetzen wollen, seine Qualifikation, die ein Bewerber in die Waagschale werfen will, die Erwartung des Chefs an seinen Mitarbeiter – oder das Produkt des Verkäufers – diese Botschaften treffen ins Leere.
  • Das Ergebnis: Chancen gehen verloren.

Ein Beispiel aus dem Vertrieb: Verkaufsprofis wissen – heutzutage gehen mehr Aufträge wegen schlechten Zuhörens verloren, als wegen zu hoher Preise oder der mächtigen Konkurrenz! Wenn wir schon wissen, dass unkonzentriertes Zuhören Probleme bereitet, warum hören wir dann nicht besser zu? Mögliche Gründe sind:

Körperliche Anstrengung

Zuhören ist mehr als nur still sein, im Gegenteil. Ein Mensch, der aktiv zuhört, spürt die Konsequenzen auch körperlich: der Blutdruck steigt, der Puls erhöht sich und er beginnt selbst im Winter zu schwitzen. Die Konzentration auf das Gegenüber, statt auf sich selbst, ist eine Herausforderung.

Informationsmüll

Täglich kämpfen unzählige Medien um unsere Aufmerksamkeit. Diese Reizüberflutung macht es nötig, dass wir Informationen ausblenden, die wir als unwichtig einstufen. Das hat aber den Nachteil, dass wir leichter auch Dinge ausblenden, die für eine nachhaltige Beziehung am Arbeitsplatz, mit dem Kunden oder Gast wichtig wären. „Ins linke Ohr rein – ins rechte raus!“

Aktionismus

Manager lieben es, möglichst schnell zur Tat zu schreiten. „Schmiede das Eisen, so lange es heiß ist“. Bereits nach wenigen Sätzen glauben sie zu wissen, wo den Anderen der Schuh drückt. Sie unterbrechen ihn, präsentieren im Brustton der Überzeugung die Lösung, anstatt sich die Zeit zu nehmen, ihr Gegenüber ausreden zu lassen, ihm aufmerksam zuzuhören. Denn meist ist er oder sie noch meilenweit davon entfernt zu „glühen“!

Mangel an Training

Wie gesagt: Zuhören findet sich auf keinem Stundenplan. Studien zeigen: Eine schlecht trainierte Führungskraft versteht und behält etwa 50 Prozent eines Gesprächs (bei Politikern liegt der Wert bei nur 35 Prozent). Dieser Wert fällt nach 3 Tagen bereits auf bescheidene 10 Prozent zurück. Das bedeutet, dass sie sich nur noch unvollständig und meist unrichtig erinnern kann. Kein Wunder, dass so manche Botschaft an der Zielgruppe vorbeigeht.
Wie können wir uns beim Zuhören verbessern? Der Weg dazu ist eigentlich denkbar einfach, doch nicht immer leicht in der Umsetzung:

Konzentration

Konzentrieren wir uns auf den Gesprächspartner und nur auf ihn. Das ist nicht leicht. Wir sollten präsent sein! Wenn wir präsent sind, so ist das ein Geschenk für den Gesprächspartner. Und wenn er sich beschenkt fühlt, bringt er sich selbst ein und lässt die Maske fallen. So einfach kann das sein.

Anerkennung

Wir zeigen dem Gegenüber, dass wir ihn anerkennen und respektieren, indem wir seinen Ausführungen mit den Signalen des „Aktiven Zuhörens“ echtes Interesse entgegenbringen.

Informationen

Wir sammeln Informationen über den Gesprächspartner und seine Situation, indem wir ihm Fragen stellen. Wenn wir nicht sicher sind, ob wir ihn richtig verstanden haben, dann fragen wir nach. „Wer fragt, führt“, heißt es. Doch besser müsste es heißen: „Wer führt, fragt“. Wir vermeiden einen der häufigsten Fehler, den Manager häufig begehen: Sie interpretieren nur die Aussagen des Gesprächspartners.

Einfühlungsvermögen

Wir beobachten unser Gegenüber genau und spüren die nonverbalen Botschaften aus seiner Körpersprache. Klar, das braucht Übung, doch das sind wir ja gewohnt. Lebenslanges Lernen gehört zu unserem Beruf.

Struktur

Wir strukturieren die Informationen, die wir gehört, gesehen, notiert haben und ziehen dann unsere Schlüsse daraus. Entgegen landläufiger Meinungen erspart uns aufmerksames Zuhören viel Zeit! Der Gesprächspartner signalisiert uns dann – verbal und nonverbal – ob wir ihn überzeugt haben. Manchmal über seine Stimme, manchmal über seinen Körper, oder beides. Wir müssen den Prozess nur sorgsam beobachten, genau zuhören und nachfragen.

Ich wünsche Ihnen viele positive Erkenntnisse beim aufmerksamen Zuhören.

Albrecht v. Bonin
Mitgründer und Gesellschafter der VON BONIN Personalberatung und Inhaber der avb Management Consulting