Entdecken Sie die versteckten Talente in eigenen Reihen!

Betrachtet man die aktuelle Situation am Personalmarkt, bleibt es auch nach Corona bei der Verknappung qualifizierter Fachkräfte. Zwar sind vielerorts die Arbeitslosenzahlen gestiegen, doch Lockdown, Kurzarbeit oder Kündigungen täuschen nicht darüber hinweg, dass es an gut ausgebildeten und motivierten Leuten fehlt. Viele Branchenflüchter suchen jetzt ihr Heil bei weniger krisengeschüttelten Arbeitgebern, die ihnen ihr finanzielles Auskommen garantieren. Um die Belegschaft rechtzeitig zum Re-Start zukunftssicher auszurichten, lohnt sich ein Blick auf die versteckten Talente in eigenen Reihen. Wie kann man deren Produktivität steigern?

„Corona hat auch was Gutes“, gestand ein Personalchef neulich hinter vorgehaltener Hand. „Unsere Führungskräfte müssen sich jetzt viel mehr Gedanken um ihre Leute machen.“ Wer ehrlich sei, so der HR’ler, ertappe sich jetzt vielleicht dabei, dass der eigene Blick bisher vorrangig auf die High Performer im Betrieb gerichtet war oder aber auf die Sorgenkinder. Die einen kamen in den Genuss von Fördergesprächen und Entwicklungsprogrammen. Die anderen erforderten viel Zeit, Geduld und Energie durch Konfliktgespräche und Krisenmanagement.

Heben Sie das Potenzial der stillen Reserve

Aber was ist mit den echten „Arbeitspferden“, die ohne viel Aufheben in aller Stille einen guten Job machen? Nennen wir sie die „Spieler auf der Reservebank“ (ohne das despektierlich zu meinen). Sie sind unauffällig, loyal und fleißig – auch im Corona-Home-Office. Sie arbeiten eher im Hintergrund, machen kaum Probleme, auf sie ist immer Verlass. Obwohl sie eigentlich das Rückgrat des Unternehmens bilden, stehen sie nicht im Fokus der Unternehmensleitung. Dabei würde sich eine kritische Analyse des Zeit– bzw. Ressourcenaufwands in die einzelnen Mitarbeitertypen schnell lohnen. Es wird deutlich: diese „leisen“ Reservebänkler leben ein Schattendasein im Betrieb. Viele Chefs sind der Meinung, um die braven Arbeitstiere müsse man sich nicht kümmern. Mehr noch: sie hätten – warum auch immer – keine Lust auf Karriere. Beachtung oder gar Förderung könne man sich hier sparen. Welch eine Ressourcenverschwendung! Dabei wissen wir doch, dass alle noch so starken Häuptlinge nichts wären, ohne ihre tapferen Indianer. Damit sind die Reservebänkler das am wenigsten genutzte Potenzial im Unternehmen. Schade eigentlich!

Was sind das für Menschen, diese Arbeitspferde, die im Schatten der Alpha-Tiere wirken? Es gibt sie in jedem Unternehmen, sicher auch bei Ihnen. Bei näherer Betrachtung können wir vier Typen identifizieren:

1. Die Spezialisten

Sie sind fasziniert von ihrer Fachaufgabe, sind Experten in „ihrem“ Metier, vergessen die Welt um sich herum, wenn sie in ihrem Fach ihr Bestes geben können. Wer zu ihnen mit einer Fachfrage kommt, dem wird sofort geholfen. Sie verstehen sich als gute Ratgeber in ihrem Fachgebiet. Mehr nicht. Dabei könnten sie viel mehr Nutzen stiften, wenn man sie öfter mal fragen oder ihr Knowhow stärker nutzen würde.

2. Die versteckten Top Spieler

Sie wollen nicht an der Spitze und im Rampenlicht stehen, lieber im Stillen wirken. Karriere machen ist ihnen ein Gräuel. Sie sind lieber gute Stellvertreter des (oft dominanten) Chefs. Hier üben sie – ohne es zu wissen – aus dem Hintergrund manches Mal mehr Macht aus als der Chef selbst. Nicht selten sind sie Puffer zwischen den Mitarbeitern und dem Vorgesetzten. Allein ihre Angst vor dem Schritt in die ganzheitliche Verantwortung bremst sie aus. Dabei könnten sie mehr leisten, wenn man sie „locken“ (ermutigen) würde.

3. Die Kontakter

Für sie sind Beziehungen das halbe Leben. Sie sind die Größten im Social Networking. Sie legen Wert auf die gute Stimmung im Team, wirken ausgleichend, verstehen zu begeistern, spüren atmosphärische Störungen als erste auf und werden damit zum unverzichtbaren Radar für jeden unsensiblen Chef. Ihr Talent ist das Schmieröl im Getriebe. Aber zu selten nutzen Vorgesetzte dieses Potenzial z. B. für Transformationsprozesse im Unternehmen. Mit ihrem Potenzial könnten Change Projekte reibungsloser ablaufen.

4. Die Mitläufer

Sie arbeiten zuverlässig wie ein Uhrwerk, sind loyal. Sie halten dem Chef stets den Rücken frei, wenn der ins Kreuzfeuer gerät (z.B. Direktionssekretärin, Betriebsassistent etc). Für ihn fällt ihnen immer eine Notlüge ein. Sie wären durchaus bereit und in der Lage, „noch eine Schippe draufzulegen“, könnten Zusatzaufgaben übernehmen. Aber bisher hat das niemand von ihnen verlangt oder erwartet. Schade eigentlich.

Mit „Reservebänklern“ Mehrwert schaffen

Wie geht man nun als Vorgesetzter mit diesen Reservebänklern am besten um? Was kann man tun, um ihre Produktivität für den Betrieb nicht zu beeinträchtigen, sie sogar zu steigern und ihr Talent zu fördern?

Grundsätzlich sollten wir uns vor Augen halten – auch wenn mancher Chef anderer Meinung ist: wir können auf die Grundmotivation dieser Mitarbeiter vertrauen. Sie wollen gute Arbeitsergebnisse erzielen. Und noch etwas: Sie können sich ausgezeichnet selbst motivieren. Sie brauchen nicht das Schulterklopfen des Chefs. Aber – sie brauchen die richtigen Rahmenbedingungen durch anständige Führung, klare Ziele, Anerkennung ihrer Leistung, die den Nährboden dafür bereiten, dass Selbstmotivation entstehen kann.

Eines ist sicher: Alle Reservebänkler machen ihren Job. Darauf können Sie sich verlassen. Es bedarf also nicht unbedingt den „Extraschub“ an Motivation durch Sie. Allerdings sollten Sie Demotivation vermeiden. Beachten Sie einfach die grundsätzlichen Hygienefaktoren Ihrer Führung. Neben der anständigen Bezahlung Ihrer Leute wünschen sich „Nicht-Alpha-Tierchen“ besonders in Pandemie-Zeiten starke zwischenmenschliche Beziehungen („Wir alle halten zusammen“). Ein guter Draht zum Chef, zu Kollegen bewirkt, dass sie bei der Stange bleiben. Ein positiver persönlicher Kontakt, der Korpsgeist, deutliche Anerkennung der erbrachten Leistung und eine partnerschaftliche Unternehmenskultur bedeuten ihnen ebenso viel wie Feedbackgespräche mit ihrem Vorgesetzten. Das schafft gerade in diesen unsicheren Zeiten die dringend erforderliche Aufbruchstimmung. Das alles trägt dazu bei, dass Ihre Reservebänkler Wertschätzung erfahren, statt sich stiefmütterlich behandelt, unterschätzt oder missachtet zu fühlen.

Drängen Sie Ihr Reservebänkler nicht zur Karriere

Das schlimmste, was ein Chef seinen Reservebänklern antun kann, ist, sie zum nächsten Karriereschritt zu drängen. Daher gilt der Führungsgrundsatz: „Appetit kommt beim Essen“. Denn für die meisten dieses Typs gibt es deutlich mehr als den nächsten Schritt auf der Karriereleiter. Geld und Status genießen in ihren Augen wenig Bedeutung. Oft legen sie z.B. viel mehr Wert auf ihre Work-Life-Balance, flexible Arbeitszeitgestaltung, geldwerte Leistungen etc. Gerade für diese „Nicht-Alpha-Tierchen“ im Betrieb ist das oft das Incentive zu mehr Lebensqualität und Motivation. Wer diesen Zeitgenossen durch Vor-Machen im Alltag in kleinen Schritten zeigt, dass mehr Verantwortung Spaß machen kann („Tut gar nicht weh“), vielfältigere Aufgaben zu mehr Wertschätzung und Anerkennung führen, dass Fehler nicht das Aus bedeuten, steigert zusehends den Output dieser Mitarbeiter. Auf diese Weise (Job Enrichment) konnte so manche Position im Organigramm eingespart werden, weil ein ehemaliger Reservebänkler zusätzliche Aufgaben übernahm, multifunktionaler einsetzbar war und – damit eine höhere Wertschöpfung für den Betrieb erreichte.
Da der nächste Karriereschritt, der Aufstieg in die nächsthöhere Position oder schlagartige Übernahme von Führungsverantwortung in der Regel für sie wenig reizvoll sind, bieten z.B. Aufgaben im Qualitätsmanagement, Projektverantwortung in der Prozessoptimierung oder Digitalisierung ideale Felder für ihre Mitwirkung und Mitgestaltung. Hier lernen sie, schrittweise mehr Verantwortung zu übernehmen und ihre Stärken einzusetzen. In regelmäßigen Feedbackgesprächen erfahren sie nun konkrete Bewertung ihrer Arbeitsergebnisse – nicht pauschale Lobhudelei. Hier gelten die Grundregeln der Führung ebenso wie für alle anderen Mitarbeiter auch: Kritik wird nicht problembezogen oder destruktiv geäußert, sondern lösungssuchend. Nicht draufhauend, sondern aufbauend. Wenn Sie darüber hinaus die Kompetenzen dieser Mitarbeiter kontinuierlich weiterbilden, klare Arbeitsabläufe bzw. Entscheidungskompetenzen definieren und ihre Zielerreichung positiv kommunizieren, steigern Sie die Motivation und den Output dieser Menschen deutlich. Manche/r ist dabei unversehens über sich hinausgewachsen.

Was denn noch alles!

Jetzt höre ich so manche Führungskraft genervt stöhnen: „Was soll ich denn noch alles tun! Jetzt soll ich mich auch noch um die Mauerblümchen kümmern“. Nun – Sie haben natürlich die Wahl: Vernachlässigen Sie diese Kollegen, wird über kurz oder lang die Motivation im gesamten Team spürbar sinken. Die Folge: nachlassende Arbeitsqualität, sinkende Produktivität pro Mitarbeiter, Boreout, innere Kündigungen, noch mehr Low Performer, und, und, und…. Andere Mitarbeiter lassen sich anstecken. Fehlzeiten und Fluktuation steigen. Wollen Sie das? Alle diese Effekte zusammen genommen kosten eine Menge Geld (auch wenn sie in keiner Bilanz auftauchen). Sie sorgen für das berüchtigte schlechte Betriebsklima, das sich im Arbeitsmarkt in Windeseile herumspricht. Nicht nur in Corona Krisenzeiten sollten Sie Ihrem Betrieb das nicht antun.

Sie werden mir sicher Recht geben: diese Reservebänkler sind das unsichtbare Rückgrat Ihres Unternehmens. Und das hat es gewiss verdient, dass Sie sich Gedanken machen um dessen Führung. Denn damit können Sie den Output dieser Mitarbeiter entscheidend verbessern. Auf diese Weise hat sich manches Unternehmen schon Rekrutierungsmaßnahmen am externen Arbeitsmarkt einsparen können. Und das Jammern um den Fachkräftemangel ist dort plötzlich verstummt.