Digitalisierung im HR Management

Die Digitalisierung hat die Wirtschaft nachhaltig verändert. Sie macht auch nicht vor den Türen der HR Abteilungen halt. Durch das Internet und die mobile Technik können Arbeitgeber wie auch Bewerber zu jeder Zeit in Kontakt treten. Das Resultat? Eine bis dato nie dagewesene Geschwindigkeit in der Kontaktanbahnung. Aber Digitalisierung reicht ja noch weiter. Wo sind die Grenzen?

Wird der klassische HR’ler (und letztlich auch der Executive Search Consultant) in Zukunft immer noch benötigt, um die heißbegehrten Führungskräfte mit ehrlicher und direkter Ansprache durch die Erwartungen der Arbeitgeber und das aktuelle Jobangebot zu lotsen? Oder wird in einem Jahrzehnt ein Roboter diese Funktion übernehmen? Job Portale haben sich inzwischen etabliert. Kontakt und „Matching“ – noch schneller, besser und günstiger?

Künstliche Intelligenzen und ihre Algorithmen üben längst einen faszinierenden Einfluss auf unser Leben aus. Das wird sich in Zukunft noch steigern. Selbstfahrende Autos sind Realität. Der Tag wird nicht mehr allzu fern sein, wo wir das Auto alleine in den Supermarkt losschicken, um einzukaufen. Ich glaube jedoch: Bei aller Euphorie – künstliche Intelligenzen haben ihre Grenzen – insbesondere bei der Suche & Auswahl von Mitarbeitern. Diese Grenzen ergeben sich vor allem bei den folgenden Themen:

Leidenschaft: Menschen inspirieren und werden inspiriert. Sie motivieren uns durch ihre Begeisterung und Hingabe für ihr Tun. Das können wir beim Vollbluthotelier erleben, der seinen Mitarbeitern seine Passion für den Beruf vorlebt. Beim Produktentwickler, der mit Begeisterung so lange an seiner Entwicklung feilt, bis sein Geistesblitz in Serienproduktion gehen kann. Bei Spitzenköchen, wenn sie in ihrem Element sind, um außergewöhnliche kulinarische Genüsse zu zaubern. Bei der charmanten Guest Relations Managerin, die ihren Gästen die außergewöhnlichsten Wünsche von den Augen abliest. Erfolgreiche Unternehmen leben doch von dieser Inspiration. Allerdings: Kein Computer kann sie messen.

Weisheit: Künstliche Intelligenz kann einen Schachweltmeister bezwingen, formale Prozesse wie die Gehaltsabrechnung abwickeln und Datenbanken verwalten. Aber sie kann uns weder sagen, wo die echten Talente im Unternehmen stecken, wie wir das Feuer der Begeisterung bei Mitarbeitern entzünden, sie emotional mitnehmen können, um das Betriebsergebnis zu verbessern. Informationen und Erkenntnisse sind zwei verschiedene Welten. Weisheit beinhaltet wesentlich mehr als reine Zahlen, Daten, Fakten.

Ideenreichtum: Diese Fähigkeit ist allein dem Menschen vorbehalten. Künstliche Intelligenz kann menschliche Neugier, Kreativität, Vorstellungskraft und Improvisationsgabe nicht ersetzen. Das sind Eigenschaften, die dem Menschen seit Jahrtausenden das Überleben sicherten. Und genau das sind die „Skills“, auf die es in Zukunft ankommt.

Wertschätzung: Wenn Automatisierung die menschliche Interaktion ersetzen soll, gehen Empathie und Zuwendung verloren. Da wird etwas Wichtiges ausgegliedert. Die Entscheidung für den „Perfect Fit“ darf deshalb nicht allein auf das Screening fachlicher Kompetenzen begrenzt bleiben. Wird der Mensch hinter der Qualifikation nicht berücksichtigt, dürfen wir uns nicht wundern, wenn z.B. über Führungskräfte gesagt wird: „Fachlich Spitze, aber menschlich ein Schwein“. Das wäre u.U. das Resultat einer Auswahl nach ausschließlich fachlichen Kompetenzen. Sie glauben mir nicht? Digitalisierte Bewerberauswahlverfahren setzen da noch einen drauf: Sie verlangt vom Jobsucher, seine Bewerbung begrifflich so aufzubereiten, dass das System es beim Screening leichter hat. Wer sich nicht daran hält, läuft Gefahr, durchs Raster zu fallen. Die computergestützte Kommunikation mit interessierten Jobsuchern läuft dort ab, als hätten die Entwickler derartiger Systeme noch nie etwas vom „War for Talent“ gehört. „Wenn Sie nichts mehr von uns hören, hat’s leider nicht gepasst“. Punkt. O-Ton einer Computer-Absage. Die einzigen, die darüber positiv berichten, sind natürlich die Systemhersteller. Ähnlich verhält es sich beim unpersönlichen und inquisitorischen Stil von HR‘lern oder Managern in Bewerber-Interviews. Merke: So wie man mit Deiner Bewerbung umgeht, so behandelt man Dich hinterher als Mitarbeiter auch.

Beziehungen: Im gegenseitigen Kennenlernen zwischen Arbeitgeber und künftigen Mitarbeitern prüfen beide Seiten, ob hier eine wertschätzende Beziehung als Basis für eine nachhaltige Zusammenarbeit entstehen kann. Wohlgemerkt: beide Seiten! Die Erfahrung zeigt: Die Möglichkeit, dass ein Top Kandidat das Jobangebot ablehnt, steigt mit der Kälte und Anonymität des Kontakts zu den Personalentscheidern. Weder mit einem automatisierten Bewerberauswahlverfahren noch mit der Computerstimme von Siri haben wir eine Beziehung. Beide betrachten uns als Funktionsträger, haben keine Ahnung, wer wir eigentlich wirklich sind. Wie soll hier – bitteschön – Mitarbeiterbindung zum Unternehmen entstehen?

Straft mich die Zukunft Lügen? Ich weiß es nicht. Zugegeben – Routinen werden auch im HR Management eher früher als später der Digitalisierung zum Opfer fallen. Personalentscheider sind jetzt mehr denn je aufgerufen, ihre spezifisch menschlichen Fähigkeiten weiterzuentwickeln, um echte Talente aufspüren zu können und – sie für das Unternehmen zu gewinnen. Sie werden damit nicht nur die Zukunft ihres Unternehmens, sondern auch die Existenzberechtigung ihrer eigenen Position sichern.

Albrecht v. Bonin
Mitgründer und Gesellschafter der VON BONIN Personalberatung und Inhaber der avb Management Consulting